Freitag, 4. Juli 2014

Von Schlägen in der Sauna und anderen Spaßigkeiten

Kaum hatten wir Orsk verlassen überquerten wir auch schon wieder den Ural und waren wieder in Asien. Grenzen sind doch wahrlichh willkürlich gesetzt. Weder Menschen, noch Landschaft, noch Klima, noch irgendetwas anderes waren backbord oder steuerbord des Urals anders - nicht einmal die ebenso Menschen gemachten Regeln und Gesetze.

Aber bis wir am Tag 115 (Mo, 23.6.) aus Orsk heraus fahren konnten, war noch einiges zu erledigen. Dies wäre ohne die Mithilfe von Vicky, ihrer Mutter, Maxim und einem netten russischen Radlerpaar undenkbar gewesen. Vielen Dank auch für die zum Teil vergebene Mühe!

Der Tag 115 begann spät, da wir abends zuvor bei Maxim einen langen Abend hatten. Maxim, oder wie er sich gerne nennen hört "Maximus", spricht etwas deutsch und beim Rest wird wie gewohnt Zeichensprache und Pantomime zur Hilfe genommen. Er verwirklicht in seinem Garten sukzessive seine Kindheitsträume. Geplant sind noch eine Bowlingbahn auf seiner entstehenden 13m langen Garage und ein Basketballplatz neben dem zu bauenden Swimmingpool, gleich hinter dem Saunahaus. Letzteres steht bereits. Er hat binnen drei Jahren sich eine Dampfsauna mit Whirlpool im Vorraum gebaut. Darin waren wir bei gutem Essen, kühlem Vodka, heißer Sauna und deutscher Rapmusik (Max Musikfavoriten sind Sido und Assad) für gute sechs Stunden und hatten eine Menge tiefsinniger bis weniger tiefsinniger Gespräche. Doch ganz bestimmt erlebten wir einer der besten Abende der Fahrt. Ich meine, wer hat schon mal von einen Deutschland-begeisterten Russen, der sich als halber Deutscher sieht, in Russland etwas über verschiedene Saunavarianten und parallel etwas über die deutsche Rapkultur gelernt? - dennoch bevorzuge ich weiterhin richtige Musik.

Die ersten Saunasitzungen waren finnische Varianten: sitzen und schwitzen - das hatten wir zwarbdie letzten Wochen schon zu genüge, doch war es schön dabei mal nicht strampeln zu müssen.
Dann kam die russische Variante, welche Maximus uns zuvor mit einem grellen Schrei und dem Andeuten von panischen Fingernkratzen an einer Wand, so als wöllte man fliehen, pantomimisch erklärte. Wir waren gespannt und nervös. Bei der russischen Sauna liegt man und wird mit Birkenzweigen ausgepeitscht. Das kurbelt zwar nicht die hiesige Konjunktur, doch aber die Durchblutung des sich-"Entspannenden" an, sodass es irgendwann echt zu schmerzen beginnt - aber kein Schrei kam über unsere Lippen, denn unsere Haut war rot und ein Indianer kennt keinen Schmerz (ist das wieder ein typischer Fall von (positiven) Rassismus?)

Es war auf jeden Fall wohltuend. Denn tagsüber hatten wir eine persönliche Stadtführung. Super interessant, aber auch anstrengend. Vicky hatte Anton, einen Geschichtsstudenten, für uns organisiert. Während eines langen Spaziergangs zeigte er uns die Stadt und deren geschichtliche Hintergründe. Orsk in seinen heutigen Dimensionen stammt wohl aus den Evakuierungsmaßnahmen ganzer Städte und Dörfer der Sowjetsunion in den 1940er Jahren. Orsk pendant ist eine ukrainische Stadt gewesen. Interessant ist auch, dass (die Idee wohl aus dieser Zeit stammend) einige Fabriken in Russland binnen 10 Stunden von ziviler zu militärischer Produktion umgebaut werden können. Anton erklärte uns dies anhand einer Zigarettenfabrik, die in einem ganz bestimmten Durchmesser produziert, der auch für Munition verwendet wird. Es bleibt offen, ob die Soldaten ohne Kippe in der Gusche überhaupt über die Kimme der Flinte gucken wollen.

Jedenfalls war der Tag mit Stadtführung und Sauna so gut, dass wie erst um 2 Uhr völlig erschöpft im Bett lagen. Leider verpasste ich damit das spannende Formel 1 Rennen - aber kein vernünftig denkender Mensch hätte das Rennen der Prügel vorgezogen.

Entsprechend spät begann Tag 115. Ziel war es sich zu registrieren (laut unserem Visa-Reisebüro muss man sich binnen 7 Tagen in Russland melden) und ein Paket mit überflüssigem Kram nach Deutschland zu schicken. Beides war problematischer als gedacht:

Für die Registrierung gingen wir zunächst zu Post, welche diese normalerweise durchführt. Die Angestellten forderten eine Menge Kopien, den Nachweis einer Unterkunft und wiesen uns letztendlich ab!!!! Plötzlich, also nach 30min stellten sie fest, dass sie für solche Registrierung gar nicht zuständig seien, sondern wohl das Migrationsbüro...
nagut - dann wenigstens das Paket abschicken?
Nee das ginge auch nicht!
Dafür müsse man zur Hauptzentrale!!!
Aahhh - hat dieser Postamt überhaupt eine Funktion?

Dieser Informationszugewinn geschah darüber hinaus auf eine unhöfliche und abweisenden Art und Weise mit hohem Desinteresse und ohne Hilfsbereitschaft, sodass wir ohne die Unterstützung von Vicky und Co aufgeschmissen gewesen wären.

Nächste Station war also das Migrationsbüro, wo weitere Unterlagen auszufüllen waren, ehe man sich bei einer der Angestellten, die sich ganz schön dämlich anstellen, anstellen durfte. Zwischendrin erfuhren wir aber von einer privaten Person, dass dieses Amt solche Registrierungen gar nicht durchführe...

Aahhhh!!???

Entnervt wie wir waren und mit viel Verständnis der in der Schlange stehende Personen durften wir uns vordrängeln. Im Zimmer der Beamtin erfuhren wir dann, dass eine Registrierung nur dann notwendig ist, wenn man sich länger als 7 Tage in EINER STADT aufhält... ahhhh!!!

Wir verspürten Freude und Wut zugleich!  War der ganze Stress umsonst? Nur aufgrund einer Fehlinformation haben wir nun eine Handvoll Personen überflüssiger Weise zur Hilfe genötigt? Dafür haben wir und vor allem unsere Helfer einen halben Tag investiert? Es tut uns Leid!

Immerhin war das Abschicken des Pakets für diese Verhältnisse dann im zentralen Postamt problemfrei, nur eben langwierig.

Aber bleiben wir gespannt - bis das Paket in Deutschland ankommt und wir hoffentlich ohne Ärger wieder aus Russland ausgereist sind... (Update: Ausreise ist mittlerweile ohne Registrierung am Tag 123 problemlos erfolgt)

Die ersten Kilometer aus der Stadt Orsk heraus wurden wir von Игорь und Маришка , dem russischen Paar, begleitet. Sie überhäuften uns noch mit kleinen Andenken und wünschten uns am letzten "Орск"-Schild dann viel Glück für die weitere Reise - vielen Dank, war schön euch kennen gelernt zu haben. Viel Spaß auf euren Touren!

Die Fahrt von Orsk nach Troitsk begann mit vielem (Mittags-)Pausen. Wir hatten endlich mal wieder Flüsse, in denen man baden konnte. Nicht viele Möglichkeiten ließen wir aus, aber auch nicht allzu viele trugen genug Wasser um appetitlich zu sein. Doch im Sinne der gleichmäßigen Verteilung (von Dreck) ist die Frage, was nach einem knapp 100km langen Tag mit viel Sonne, dreckiger ist: der Fluss/See oder Mo/Cé?

Neben den vielen Gewässern gibt es hier auch viele Birken. Es mag da vielleicht einen Zusammenhang geben, Biologe bin ich nicht. Definitiv gibt es aber einen Zusammenhang mit dem hohen Vorkommen der Birken und der Tatsache, dass wir ausgerechnet mit Birkenzweigen in der Sauna vermöbelt wurden. Ich bin froh, dass hier das dominierende Grünzeug keine Kakteen sind.

Wenig Wind und eine weitestgehend flache Landschaft ermöglichten uns nahezu in Spazierfahrt an die 100km/Tag zu fahren. Kein Begrenzungspfahl hielt uns auf, lediglich am Tag 119 ein Loch in meinem hinteren Schlauch und kurz darauf folgend ein "Platzer" des selbigen. Dennoch wären wir binnen 6 Tagen in Troitsk. Da wir dort aber in der Nacht vom 30.6. zum 1.7. im Hotel mit Fernsehanschluss sein wollten (zufällig spielte da um 2 Uhr Ortszeit Dtl vs Alg. Die WM wird auch nach dem Ausscheiden der russischen Mannschaft weiter frei empfangbar auf РОССИЯ 1 übertragen - ohne Untertitel), mussten wir einen Ruhetag einlegen. Tag 120 verbrachten wir an einem schönen, großen See. Zwar war es nicht zu heiß, aber dafür hatten wir ein heftiges Nachmittaggewitter und wenig Sonne.
Dann sollte es bis auf knapp 20km vor Troitsk gehen, damit wir am entscheidenden Tag nur noch kurz ins Hotel fahren müssten. Doch dann kam alles ganz anders und noch viel besser!

Wir fanden einen schönen Fluss, am Dorf Санарка und schlugen dort unser Zelt auf. Wenige Minuten später erschien ein Cowboy und war dermaßen fasziniert von der idiotischen Idee mit dem Fahrrad von Deutschland bis hier her zu fahren, dass er uns prompt zum Abendbrot einlud - so dachten wir! Unsere Missverständnisse bzgl Einladungen sind ja bekannt. Ich erinnere nur an den netten Türken, welcher uns noch heute das Frühstück zu den gebrachten drei Eiern schuldet.
Doch diesmal ging das Missverständnis zu unseren Gunsten aus, denn die Gastfreundschaft ging noch viel weiter. Wir erhielten Kost UND Logi!
Einzelzimmer!
Seit langem nächtigten Mo und ich nicht mehr in getrennten Zimmern. Zwar weiterhin nicht mehr als 1m voneinander entfernt, aber doch getrennt von einer Mauer! Toll!
Bevor es aber in das aus unserer Sicht wohl verdiente Bettchen ging, unterhielten wir uns noch ein wenig mit unseren Gastgebern. Dabei kam heraus, dass es unser Plan war für das Deutschlandspiel nach Troitsk ins Hotel zu fahren:
"плохо", Undenkbar! Hotels seien überteuert!
Daher wurden wir eingeladen für zwei Nächte zu bleiben. Dies bedeutete zwar den Verzicht auf Wifi, aber die Möglichkeit die Herzlichkeit von tollen Menschen weiter zu genießen und mit deren Enkeln Lisa und Sascha den freien Tag 122 Ball zu spielen.
Darüber hinaus bot uns der Schwiegersohn, Polizist von Beruf, an dem auf das Deutschlandspiel folgenden Tag, uns über die Grenze nach Kasachstan zu begleiten. Das war uns hinsichtlich des Restrisikos Registration sehr genehm. Zwar musste er dann doch zum Zeitpunkt unseres Übertritts arbeiten, aber das Angebot zeigt, wie hilfsbereit und nett die Menschen hier sind - zumindest uns gegenüber: wir sind ja aber auch süß!

Der Grenzübertritt nach Kasachstan war dann auch ohne fremde Unterstützung problemfrei. Wir erfuhren, dass man sich angeblich nur in Astana registrieren lassen kann. Zwar ist der Wind weiterhin günstig, was uns wieder locker Strecken über 90km erreichen lässt, aber binnen 5 Tagen ist Astana (900km) für uns nicht zu erreichen ist. Kostanay (200km) dagegen schon. Womöglich geht eine Zwischenregistrierung in Kostanay (Kaz), wie uns ein netter Schweizer auf dem Motorrad irgendwo auf den kaputten Straßen zwischen Atyrau und Aktobe berichtete (seinen Blog findet ihr unter http://saghirf.wordpress.com).
So ist unsere aktuelle Position Kostanay! Und zufällig, also tatsächlich zufällig, spielt Deutschland genau in der Nacht, in der wir im Hotel sind - gegen Frankreich! Für wen ich bin?
Für Deutschland natürlich - vielleicht!

Die letzten Wochen lassen sich für die Zeit die wir auf dem Rad saßen als relativ eintönig beschreiben. Wenig abwechslungsreiche Landschaften, gleicher, ja fast selber Tagesablauf. Die größte Abwechslung war sie Musik die wir hörten. Wir kamen dank des günstigen Windes so schnell voran, dass wir genauso viele Zeit Pause machten, wie wir auf dem Rad saßen - spätestens im Altai werden wir uns diese Zeit zurück wünschen.
Gleichzeitig lernten wir in so kurzer Zeit so viele tolle Menschen kennen, dass die Zeit unheimlich schnell vorüber ging. In Aktobe Sergey und Evgenii, in Orsk unter anderem Vicky, Maxim und Kosta, in Sanarka unter anderem Victor, Maxim, Victoria und nicht zuletzt auch Lisa und Sascha.

So kann es gerne weiter gehen...

Wir sind jetzt in Kostanay und werden gleich versuchen uns zu registrieren...

Fotos der letzten Zeit folgen bald!

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