Sonntag, 27. April 2014

Istanbul nach Samsun

Bevor ich zu den Reiseberichten komme möchte ich einige Erkenntnisse der Tage hier in der Türkei vorweg nehmen, die uns eigentlich jeden Tag begleitet haben.
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Bemerkenswertes von unterwegs
Wenn wir daher radeln, so werden wir meist begleitet von hupenden Autos. Dies hat seit dem wir Deutschland verließen immer mehr zugenommen und erreicht auf den Straßen der Türkei einen Höhenpunkt. Ob sich dahinter eine geographische Verteilung versteckt, ob es eine Veränderung vom Zentrum zur Peripherie oder eine ostwärts zunehmendes Erscheinungsbild ist oder einfach den nationalen Lehrschwerpunkt der Fahrschulen widerspiegelt vermag ich nicht zu sagen. Aber dies wäre sicherlich eine lohnende Forschungsarbeit!
Wir konnten feststellen, das es nicht DAS Hupen gibt. Sondern vielmehr freundliches, warnendes, aggressives, erschrecktes, stotterndes (Türken haben entweder besondere Hupen oder eine fantastische Technik, da sie in eine unheimlich hohen Frequenz hupen können, was alternativ auch durch einen stark verbreiteten Tremor erklärt werden könnte) und sehr melodisches (insbesondere LKWs und Mopeds haben noch zusätzliche besondere Hupen eingebaut). Natürlich wird von uns verlangt, dass wir entsprechend antworten, sei es freundlich winkend, dankend grüßend (meist verbunden mit anschließendem freundlichen Winken), beschwichtigend den Mittelfinger zeigen, ahnungslos die Schultern heben ... In jedem Fall hätte die dafür verwendete Energie, ich möchte nicht sagen verschwendete, gereicht um mit weiteren 10kg Gepäck den Mt. Everest zu befahren - mit einer Drei-Gangschaltung!
Was uns auf den Straßen noch so begegnet sind vielerlei Tiere in den verschiedenen Stadien des Lebens oder der Verwesung: Schnecken, Eidechsen, Katzen, Schildkröten, Kühe, Esel (der eine fährt mit mir Rad), Kröten, ... und natürlich Hunde.
Besonders interessant sind letztere. Es gibt domestizierte, streuenden, lebende, tote, blinde, faule, aggressive, desinterssierte, erschrockene und verschiedene Kombinationen davon. Meist wird jedoch gebellt.
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Reisebericht
Wie erwähnt sind wir mit der Fähre aus Istanbul raus, jedoch nicht auf die asiatische Seite Istanbuls, sondern nach Yalova (oder so). So konnten wir dem hässlichen Stadtverkehr, der uns mit Sicherheit nur 1x bei der Einfahrt nach Istanbul so ein Spaß gemacht hat. Außerdem konnten wir so in Degimendere einen Bekannten von Mo, Dierk, treffen. Dem hatten wir zur Bedingung gemacht, dass wir dort einen Stellplatz für unser Zelt benötigten. Und was er uns da organisiert hat, vielen Dank nochmal an dieser Stelle!!! Mitten in der Stadt, gegenüber eines Supermarkts, auf einer kleinen Grünfläche neben einem Gebäude der Stadtverwaltung! Alles genehmigt und polizeilich gestattet. Unser Zelt schlugen wir direkt neben einem kleinen Atatürk Denkmal auf. Dieser Übernachtung inklusive war ein schönes Frühstück, verbunden mit einem Zeitungsinterview. Wir wissen nicht genau was für eine Zeitung es war, aber das Frühstück war super!
Apropos Atatürk-Denkmal. Überall verziert sein Antlitz die Straßen, Schulhöfe ach einfach sämtliche Gebäude. Einige male haben wir bereits gesehen, dass vor einem solchen Denkmal die Schüler in Reih und Glied sich positionierten und zum Teil mit Trommelwirbel begleitend (obwohl es nicht den Anschein eines Musikunterrichts hatte) vom Lehrer begrüßt wurden. Es waren in jedem Fall paramilitärische Erscheinungen.
Am zweiten Tag nach Istanbul ging es Richtung Küste - Berg auf. Etwas verwunderlich, aber im erträglichen Rahmen. Zelten konnten wir am einem der wenigen Seen, der belagert war von Anglern und Fröschen. Erstere verzogen sich zum Abend, letztere wurden lauter - nervig aber besser als andersherum.
Am dritten Tag nach Istanbul erreichten wir das Meer! Das schwarze Meer! Karadeniz! Zwar mussten wir dafür eine gute Strecke durch Sanddünen schieben, aber erhielten dafür einen super Platz. Es war zwar eigentlich kein Ruhetagplatz, aber ein stärker werdender Husten lies uns unseren eingeplanten Ruhetag schon so früh nehmen. Dieser Ruhtag zahlte sich immerhin dahingehend aus, dass es uns gesundheitlich besser ging und wir rückblickend betrachtet es auch blieben.
Wir haben uns ja für die längere Küstenstrecke entschieden, da wir somit keine 1300m hohen Berge überwinden müssten. Doch am fünften Tag mussten wir dann feststellen, dass Küste nicht zwangsläufig flach ist. Das mag so manchen Ostseeküstler verwundern. Und um möglichen Korrekturen vor zugreifen: das was man auf Rügen findet, fällt hier noch unter die Rubrik flach. Dafür wurden wir mit einem schönen Platz belohnt zu dem wir fast traditionell einen kleinen Fluss durch laufen mussten. Und da wir von unten nicht nass genug waren, fing es pünktlich zum Essen und gerade als das Zelt stand an zu regnen. Das Zelt hielt weitestgehend dicht. In jedem Fall dichter, als es unsere bisherigen 25€ IGLO- Zelte von Aldi taten und dichter als es bisher war.
Der sechste Tag (immernoch an der Küste!) festigte mit einer solchen Wucht die am Vortag gewonnene Erkenntnis, dass wir mehr Zeit im stehen gefahren sind, als die bisherigen 3000km zusammen! Wir fragen uns warum wir die 150km extra in Kauf genommen haben, wenn es doch auch hier bergig ist. Sicher geht es nicht so hoch, aber es ist verdammt steil. Zwar entschädigen Pausenplätze mit grandioser Aussicht ein wenig, aber Knie und Oberschenkel wollen dies nicht ganz verzeihen - und das wo wir doch extra ihnen zu liebe die vermeintlich flachere Strecke wählten.
Die nächsten vier fünf Tage verliefen ähnlich. Früh (7.30) aufstehen. Zwischen 8.45 und 9.30 Abfahrt. Berg hoch bis zu 3-400 Höhenmeter um die 7-12% im ersten Gang zwischen 4,2-7km/h (langsamer geht es nicht, dann fällt man um oder den LKWs auf den engen Küstenstraßen vor die Reifen) und dann meist in Serpentinen wieder Berg ab mit bis zu 68km/h, den Schlaglöchern so gut es geht ausweichen und von Meeresspiegelhöhe wieder hoch.
Die Aussicht war immer wieder grandios.
Wir wurden dreckiger und dreckiger. Dabei hatten wir viel Sonne! Was die hygienischen Umstände nicht verbesserte aber bzgl. der Stromversorgung unser Glück war. Denn bei diesen bergigen Verhältnissen ist ein Nabendynamo nicht besonders zum Laden geeignet, da die sinnvolle Geschwindigkeit zum Laden zwischen 15-25 km/h liegt. Schneller bringt nicht mehr Strom.
Highlights waren die eine Übernachtung in einer Bucht, am Strand eines Dorfes, direkt bei den privaten Anglerbooten. Ein Angler Lud uns zu diesem Platz ein und nach einer Weile Small-Talk (wir sind mittlerweile sehr routiniert im türkisch-Zeichensprache-Smalltalk und können auch auf nicht verstandene Fragen unsere Standardantworten geben) lud er oder so hatten wir verstanden uns am nächsten Tag zum Frühstück ein - wirklich nett hier die Menschen!
Wir schrieben ihm 9:00 auf, dies war unmissverständlich. Und 8.30 kam er vorbei und brachte 3 gekochte Eier. Wir freuten uns über das gemachte Geschenk, packten die Eier ein und warteten darauf, dass er uns zum Frühstück abholte, denn die Menschen sind äußerst nett und höflich hier.
Doch er kam nicht wieder. Um 9.15 entschlüsselten wir das abendliche Gespräch dahingehend auf, dass er wohl nur fragte, wann wir zu frühstücken gedachten, um uns die besagten Eier zu bringen. Tief enttäuscht, dass wir nicht eingeladen wurden - die sind hier aber auch echt nicht gastfreundlich.
Hungrig verließen wir den Strand, bei dem Angler vorbeifahrend und uns nett bedankend, und frühstücken ungesehen 1h später in den Bergen, sodass wir nicht unhöflich und erst recht nicht als dämlich erschienen.
Doch tatsächliche sind die Menschen hier sehr freundlich und bemüht ein positives Bild der Türkei zu vermitteln und das obwohl sie auf zwei versteckte Deutsche trafen. Wobei wir diesmal nicht auf den Luxus einer Dusche warteten, sondern die Möglichkeit von Seen und Flüssen zu nutzen wussten, was uns und unsere Radsachen wenigstens bis vor fünf Tagen jeden zweiten Tag "sauber" werden ließ.
Das Interesse, die Offenheit und die Freundlichkeit der hiesigen Bevölkerung zeigte sich nicht nur in den spontanen Fototerminen vor Supermärkten oder Wasserquellen, sondern wurde von zwei Jungs die wir kurz vor Cide trafen im besonderen Maße gezeigt. Sie führten uns zwar zu einem guten Zeltplatz an einer Baustelle, die zwischen 18-8 Uhr unbesetzt war, doch am Ende eines sehr anstrengenden Tages, dessen Ende von einem Loch in Mos Hinterreifen verzögert wurde, sind wir die Jungs auch nicht mehr los geworden. Immerhin stellten sie sich besser an als die meisten Erwachsenen, wenn es darum ging Wörter beizubringen. Zumindest trauten sie sich etwas pantomimisch darzustellen, was sich ältere und alte Personen nicht trauen. Wenigstens ließen sie uns in Ruhe schlafen, nachdem sie auf plumpe Art und Weise gefragt hatten, ob wir schwul sein und wir dies zu deren Beruhigung verneinten. Sie führten uns auch ein in die coolen Moves/Handzeichen. So wissen wir nun, dass das in Deutschland bekannte Zeichen für "Mund-Zu-Ohren-Spitzen" hier den Status von unserem "Daumen-Hoch" oder auf neufacebook gesprochen "gefällt-mir" hat. Dieses Wissen wurde natürlich gleich bei den nächsten Fototerminen mit Begeisterung angebracht.
Der folgende Tag dann begann mit einem platten Hinterreifen von Mo. Ob der Grund  inkompetentes Flicken oder ein neues Loch war, haben wir bislang noch nicht festgestellt. Doch nach dem Schlauchwechsel und 3km Fahrt gab es einen Knall und Schlauch und Mantel waren dahin. Glück im Unglück war, dass wir nur 4km von Cide entfernt waren und schnell Ersatz besorgen konnten. Jetzt hat Mo einen Hinterreifen "güzel made in turkey" und einen weiteren zusätzlich als Reserve. Ursache des geplatzten Mantels konnten wir leider nicht ermitteln.
Zwar wurde bereits drei vier Tage vor Samsun die Strecke besser sprich flacher. Dennoch entschieden wir uns für eine Abkürzung durch das Landesinnere, um nicht ganz raus bis Sinop (obwohl es schon sein soll), über Erefelek zu fahren. Wir mussten zwar dadurch auf bis zu 900 Metern hoch, aber gemütlich , kontinuierlich ansteigend. Die letzten zwei Tage waren dann endlich so, wie wie uns eine Küstenstraße vorstellen. Flach und gestern mit Rückenwind, der es uns schwer machte langsamer als 30km/h zu fahren, sodass wir aus Versehen 110km zurück legten, was nach den anstrengenden Tagen mit 40-70km sehr aufmunternd war.
Auf den letzten Km nach Samsun trafen wir dann auf eine weitere Rad-Reisegruppe, zwei Deutsche und ein Spanier, die seit Istanbul wohl uns zufällig hinterher gefahren sind und in den Bergen immer näher kommen konnten. Zu fünft beanspruchten wir dann eine Spur der Schnellstraße für uns und verquatschten uns dermaßen, dass wir beinah durch Samsun durch gefahren wären. Während Mo und ich umkehrten um die zwei Km zum Stadtzentrum zurück zu fahren, machten die anderen drei sich weiter auf den Weg nach Tiflis bzw der Spanier dann in den Iran. Viel Erfolg euch. Hat Spaß gemacht die paar Meter mit euch zu fahren! Der exklusive Fahrradständer wird sobald wir wieder unterwegs sind ausprobiert!
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Erkenntnisse
Küste ist nicht flach.
Türkei ist bergiger als gedacht.
Es scheint viel die Sonne in der Türkei, aber zum Glück gibt es viele Wasserstellen die für jeden kostenlos zugänglich sind.
Was in der Türkei sehr beeindruckend ist, sind sie vielen kleinen Moscheen, von den Minaretten regelmäßig zum Gebet gerufen wird. Nicht nur in Istanbul wird man von mehreren Seiten zugleich beschallt, sondern auch auf dem Land. Bei letzteren ist aber zu vermuten, dass dies vom Band abgespielt wird. Denn in der Nacht nach Degimendere lagen wir in Hörweite dreier Moscheen, die leicht zeitverzögert alle den selben Ruf hatte, mit konsequent der gleichbleibenden Verzögerung. Außerdem ist die Lautsprecherqualität (oder der Sänger) mancher Moscheen so schlecht, dass die Aufrufe eher an Fliegeralarm erinnern.
Fotos folgen






















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