Freitag, 25. Juli 2014

Auf dem Weg nach Hause

Das Sommerloch setzt sich fort. Nichts aufregendes ist passiert. Wichtigste Nachricht: uns geht es gut! Der Inhalt des Pakets in Astana (neue Zeltstange, neuer Sattel für Mo) wurde gut in unser aktuelles sonst soweit funktionierendes Equipment eingefügt. Vielen Dank, dass das mit dem Paket zu gut geklappt hat.
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Die sich informierenden Leser mögen an dieser Stelle ihre Informationsaufnahme beenden, denn es folgen lediglich Eindrücke als Konsequenz des "Zu-viel-Zeit-zum-Denken-habens", mit sehr wenigen Informationen vielleicht zwischen den Zeilen.
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Und wir hatten viel Zeit nachzudenken!
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Doch nach bald fünf Monaten weiß ich nicht was ich noch nicht gedacht habe. Dennoch vergessen wir so viel, nicht zuletzt sämtliche interessante Gedanken die es hier zu schildern lohnen würde. Stattdessen bleiben merkwürdige Überlegungen über, die durch die Erfahrungen unseres Alltags geprägt sind.
Diese Gedanken sind dadurch begünstigt oder vielleicht erst ermöglicht, dass wir viel Wind hatten. Wohl noch mehr Wind als um das kaspische Meer herum, wo uns Geschwindigkeiten jenseits der 15km/h utopisch vorkamen. Doch diesmal kam der Wind von Westen und trieb uns unaufhaltsam in Richtung Altai! Geschwindigkeiten unter 25km/h schienen utopisch!
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Vor wenigen Tagen löste einer falsche Beobachtung (gibt es die?) eine Kette abstruser Gedankenspiele aus und mündete zwei Tage später am Tag 144 im vermeintlichen Beweis:
Wir sahen in der Ferne eine Herde Kamele. Doch je näher wir kamen, mussten wir erkennen, dass denen die Höcker fehlten. Statt derer gab es Euter und Hörner. "Haben die Kasachen also tatsächlich den armen Kamelen die Höcker abgeschnitten!" Schnell fanden wir auch die Ursache für diese Tierquälerei.
Die meisten Autos haben hier kaputte Hupen, denn wie sonst sollten es erklärbar sein, dass wir hier kaum angehupt werden - wissen wir doch aus unseren Erfahrungen aus dem Westen Kasachstans, dass der-Kasache-an-sich gerne hupt (eine alternative Hypothese, die zu Beginn der Reise entwickelt wurde, dass um ein Hupzentrum in der Türkei zur Peripherie hin es zu einem abnehmenden Hupverhaltens kommt, kann aufgrund mangelnder Datengrundlage nicht angenommen werden). Die sehr wahrscheinliche Theorie ist die der "kaputten Hupen". Sie bewirken oder bewirken eben gerade nicht, dass wir zurückgrüßen. Die Abwesenheit der Aufmerksamkeit ist der tiefenpsychologische Stein des Anstoßes der Aggressionen. (Bei dieser Theorie kann uns eine Teilschuld vorgeworfen werden... aber wir können uns nun wahrlich nicht um alle kümmern! Schließlich sollen stets beide Hände am Lenker sein! Alles andere ist unvorsichtig, riskant und gehört strengstens verboten!)
Auch den Kamelküken, mussten wir feststellen, schneiden sie bereits die Höcker ab.
Der ultimativen Beweis dieser Theorie war dann eine Kamelstatue (Achtung, nicht zu verwechseln mit der Kamelstute, die Statue war gegendert) deren Höcker ganz linear abgebrochen waren und wieder aufgesteckt - das ist doch eine provokante Aufforderung zur Tierquälerei!
Achso nebenbei, ich hatte Biologie als Leistungskurs.
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Selbst wenn wir nichts von der WM hätten mitbekommen wollen, nach dem WM-Titel der deutschen Mannschaft wurden wir regelmäßig (nach Beantwortung der Herkommensfrage) beglückwünscht. Vom Gauchoskandal hat hier niemand etwas mitbekommen - andernfalls hätte man uns ja vermehrt wieder mit "Heil Gitler" begrüßen müssen. So gering unser Anteil am erfolgreichen Verlauf der WM war (bis auf den 4:0 Sieg), so ist es mir doch deutlich lieber für einen sonst sympathischen Gaucho-Klose beglückwünscht zu werden, als mit "Heil Gitler" (ich frage mich warum die das erste H hinbekommen, aber nicht das zweite. Andersherum bekäme es eine sehr interessante Konnotation).
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Die Landschaft hat sich für die uns bekannten kasachischen Verhältnisse stark verändert. In erster Linie dadurch, dass wieder vermehrt Gewässer entlang der Fernstraßen existieren, die weder mehr Salz als Wasser noch Erde statt Wasser tragen.
Die Straßenverhältnisse zwischen Kostanay und Astana waren wirklich gut.
Nach Astana entwickelte sich sie Straße wieder zu einem Flickenteppich. Ein Mosaik aus Asphaltstücken. Ein pointilistisches Gemälde, das nur von der Ferne flächig aussieht. Aber lieber ein Teppich haben als gar keinen - wie noch um Atyrau.
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Seit ich wieder ein Ebook habe lese ich deutlich mehr. Damit mein ich über die Tatsache hinaus, dass es sich ohne Ebook und ohne Alternative dazu schwerlich lesen lässt, ich jede "freie" Sekunde unseres stressigen Lebens nutze darin zu "blättern". Ich habe zum Glück via Internet von meinem jüngeren Bruder schnell noch einige Bücher zur Verfügung gestellt bekommen. Vielen vielen Dank u.a. für deine Spontanität!
Zuletzt habe ich Stephen Hawkins großen Entwurf gelesen - Physik und Quantenphysik. Er schreibt sehr angenehm und stellt komplexe Zusammenhänge und Theorien einfach dar... und ich habe dennoch kaum etwas verstanden. Aber doch habe ich eine Idee der Quantenmechanik verinnerlicht und hier vor Ort wiedergefunden:
Die meiste Zeit suchen wir hier in der Steppe vergeblich einen Mülleimer und da wo es welche gibt (in Dörfern) vergessen wir natürlich unsere Sammlung los zu werden. Vor ähnliche Problemen scheint die Auto fahrende Bevölkerung hier auch zu stehen - anders kann ich mir die vielen inoffiziellen Mülldeponien an sonst perfekten Zeltplätzen mit Wasserlage nicht erklären! Oder doch?
Das Mülleimersystem der Fernstraßen funktioniert so (abgesehen von dem einfachsten Weg Fenster auf, Müll raus, Problem solved), dass alle paar zig Kilometer ein Platz ist, in dessen Mitte ein großer schwarzer Betonbehälter (ähnlich einem defekten schwarzen Loch) steht, in dem der Müll eigentlich abgelagert werden soll. Alle paar Monate oder Jahre kommt dann jemand vorbei und zündet den Spaß an - oder es sind spontane Selbstentzündungen. Je näher man diesem Betonklotz kommt, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit auf Müll zu stoßen. Ist das nicht schon fast Quantentheorie?
Niemand kann sagen wo sich der Müll befindet, aber die Wahrscheinlichkeit ihn in der Nähe des Mülleimers anzutreffen ist sehr hoch - wie ein Elektron (was auch immer das ist).
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Anhäufung von Müll wohl ein Mülleimer ohne Betonklotz ist.
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Doch genug von den wirren Gedanken falscher Verknüpfungen. Fakten sind gefragt!
Tag 144 sollte unser Rekordtag werden. Als wir kurz vor 12 Uhr bereits 50km auf dem Tacho zu stehen hatten (nach nicht mal 2h Fahrt), schienen die 150km als anvisierte persönliche Rekorddistanz greifbar. Doch der Erfolg wurde jäh von einer halbstündigen Mittagspause, einer einstündigen Lesepause und dem Sichten eines wahrlich verlockenden Zeltplatzes unterbrochen. So mussten wir uns mit knapp 110km und wie die letzten Tage auch einem frühen Ende des Radelns um 16 Uhr begnügen - ganz aus versehen haben wir dabei trotz des Windes (der nicht immer perfekt von hinten kam) eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30,2km/h gehabt - schneller als ich vor einem Jahr mit Rennrad ohne Gepäck an einem Triathlon teilnahm.
Vielleicht hat uns eine Weisheit abgeleitet aus Annie's Theory weitergeholfen: wenn ihr Gegenwind habt, fahrt in die andere Richtung - ist einfacher! In dem Sinne sind wir gerade auf dem Weg nach Hause!
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Jetzt sind wir in Pawlodar, drei Tage vor der russischen Grenze. Mal sehen wie es läuft. Nächster Stop: Barnaul.
Fotos folgen





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