Montag, 25. August 2014

Altaigebirge

Die Abfahrt aus Barnaul zog sich hin. Wir lassen Städte und den Luxus des Internets so ungern hinter uns - da merkt man erst mal wie abhängig man ist. Selten schaffen wir es in der kurzen Zeit des Internet-Habens all das zu erledigen, was wir uns vorgenommen haben. Doch solange hier hin und wieder zwei drei kurze Sätze stehen, sollten die meisten zufrieden sein.
Doch was ist mit uns? Wir litten an einer Art Minderwertigkeitskomplex - die Leser und Leserinnen hier kommen auf ihre Kosten - und was bitte schön machen wir?
Wir opfern unsere wertvolle Zeit für die hiesigen Berichte statt uns über die aktuelle politische Lage zu informieren, über den Fußball der zweiten Bundesliga oder viel wichtiger sich einen Überblick über die Route der kommenden Wochen zu verschaffen. Was ist der Erfolg? Wir haben bei Blogspot einen registrierten Follower; Messi, Clooney selbst Merkel haben bei Facebook mehr Likes als wir!!!
Unsere Mid-ride-chrisis wird dadurch verschärft, dass wir raus sind aus dem laaaangweiligen Gebiet und rein in das touristische Altai. Wir sind nicht mehr besonders - sofern wir das jemals waren -, werden nicht mehr für besonders gehalten. Weder im Vergleich zur Landschaft noch als Person per se!
Wir haben plötzlich Autos mit ausländische Kennzeichen (scheiß Touris!) die uns überholen und nicht mehr ausschließlich die russische 22. Das hat zur Folge, dass wir hier nicht mehr angehupt werden. Wir sind eine Nummer unter den vielen Touristen und sicher nicht die ersten Radfahrer die den Autofahrern den Weg versperren. Wir haben unseren Sonderstatus verloren!
Wie kann man dem Begegnen? Unsere Überlegungen gingen dahin im Sinne eines Präventivschlags zuerst zu winken um das Hupen zu provozieren. Präventivschläge sind wie die Geschichte uns lehrt aber armselig und außerdem gefährlich! Denn seit Barnaul wurde es immer welliger, sodass wir entweder Berg auf kämpften oder Berg ab rasten, was den Winkprozess erschwerte.
Das Wetter war eigentlich nahezu durchgehend perfekt, selten gab es Regentropfen. Zumeist blauer Himmel; es wurde extrem heiß, sobald man in der Windstille die Sonne genießen wollte. Auf dem Fahrrad hatten wir dann aber meist eine frische Brise, deren Wirkung mit dem eines frischen Luftzugs im stickigen Raum vergleichbar war - wohltuend. Gleichzeitig war es im Schatten dann recht kühl. Auch die Gewässer waren nicht mehr die kasachisch, 25°C abgestandene Salzbrühe, sondern kalte, trinkbare Bergflüsse (badeble) - die bei dem warmen Wetter sehr erfrischend waren.
Nach Gorny-Altaisk bekamen wir allmählich auch unseren Sonderstatus wieder. Soweit trauten sich die meisten Touris nicht, wobei der beeindruckenste (nicht unbedingt der schönste) Teil noch kommen sollte. Die Landschaft war so beeindruckend, dass wir den Aufgaben unserer Position (inklusive des regelmäßigen päpstlichen Winkens) nicht nachkommen konnten oder selten wollten - zu sehr waren wir damit beschäftigt nicht vom Rad zu fallen! Denn wer mit offenem Mund die Höhe der Berge, die verschiedenen Felsformationen, die Gänze der Dreidimensionalität bestaunt, vergisst das in-die-Pedale-Treten schnell. An Winken ist da gar nicht mehr zu denken.
Es ist unglaublich wie klein man ist! Dieses Gefühl wurde uns im zweidimensionalen Kasachstan durch die elenden Weiten beigebracht. Diese Erkenntnis gewinnt man hier durch die Formenvielfalt, den unglaublichen Höhen, den landschaftlichen Überraschungen nach jeder langen Kurve um den nächsten Berg herum. Als besonders faszinierend empfand ich, wie sich die Berge unterschiedlicher Höhe beim langsamen Vorbeifahren hintereinander verschoben. Ein Spektakel für sämtliche Sinnesorgane!
Ein Höhepunkt war sicherlich der Anblick Schnee bedeckter Berge, der als einer der besagten Überraschungen zunächst zwischen zwei anderen Gipfeln auftauchte. Später konnten wir das ganze Gletschermassiv vor und von einem langen und breiten Tal aus bestaunen.
Lediglich farblich wurde es nach Gorny-Altaisk mit zunehmender Höhe etwas eintönig. Freudig auf das Äußerste erregt wären nur diejenigen Personen, die ocker-beige als Lieblingsfarbe angäben - aber wer macht das schon? Auch Zimmermenschen (-männer wie -frauen) kämen hier auf ihre Kosten oder würden vielmehr vor Gram einen Palmface ausführen: sehr viele der hiesigen Hütten bestehen aus Holz mit luftigen Zwischenräumen.
Dies alles ist auch nach tausenden Versuchen nicht in seiner Gänze auf Fotos festzuhalten. Auch wären selbst Stefan Zweig, König der Vergleiche, oder das allgemein unverständliche Sprachgenie Go-ethe mit ihrem Latein am Ende um Landschaft und Gefühle in verstehbare Worthülsen zu verpacken. Wir sahen die bislang tollsten Bilder und verspürten die beeindruckensten Empfindungen der fast sechsmonatigen Reise.
Ich hoffe, dass mir wenigstens ein Bruchteil der Eindrücke und Empfindungen von hier erhalten bleiben - zu viele strömten auf einmal auf uns ein.
Unterbrochen wurden diese Sinnesüberflutungen nur vom angeregten in-den-Rückspiegel-Schauen und auf-das-sich-von-hinten-nähernde-Motorgeräusch-hören. Denn uns überholten bis zu acht Mongol-Rally-Autos am Tag! Die Mongol-Rally ist eine "Rally" bei der mit möglichst alten Autos die Strecke von London bzw. Prag nach Ulan-Bator zurückgelegt werden soll. Entsprechend ihrem Alter geben die Autos auch spezifische Geräusche von sich. Wir machten es uns zur Aufgabe diese zu erkennen. Erschwert wurde das Ganze lediglich dadurch, dass auch viele 22er nicht TÜV-geprüfte Gurken fahren.
Etwa 40 Tage ist der Großteil der Rally-Teilnehmer unterwegs. Das Hauptfeld befindet sich gerade in unseren Breiten. So wurde es für uns zu einem gewohnten Anblick, wenn alte englische Taxis oder Fiat Pandas uns überholten. Ja fünf Fiat Pandas haben wir bislang gesehen - und, man mag es kaum glauben, sogar uns überholend! Einer aus Spanien kommend, der andere aus Italien und ein deutsch-französischer -österreichischer Konvoi, die wir an der russisch-mongolischen Grenze erwischten! (Uns kam zu Ohren, dass rund 20 Teams in Baku aufgeben mussten, da sie zu lange auf Professor Gül warten mussten und damit in eine zeitliche Visaproblematik gerieten - welch ein Glück, dass wir uns nicht für die Fähre entschieden haben.)
Doch sonst hielt kaum ein Auto aus diesen Reihen für uns an. Eine amerikanische Vertretung erwischten wir in einem Café, ein spanisches Team (Panda) beim Reifen aufpumpen am Straßenrand, nachdem diese uns fünf Minuten zuvor überholt hatten. Unsere Sehnsucht nach Smalltalk mit anderen Reisenden seit Georgien wurde selten erhört. Doch am Tag 167 trafen wir ein türkisches Paar (seit bald einem Jahr mit dem Auto unterwegs) und am Tag 173 ein deutsch-französisches Ehepaar, Joëlle und Klaus (Zuordnung der Nationalitäten ist der Leserschaft überlassen), jeweils frisch aus der Mongolei kommend. Wir konnten unseren Bedarf an Reisesmalltalks stillen, lernten interessante Personen kennen und erhielten wertvolle Informationen zu der uns bevorstehenden Strecke: wenig Asphalt, aber wohl nicht schlimmer als Kasachstan! Let's see!
Und genauso kam es dann auch. Kaum waren wir aus Russland raus, begann die Schotterstraße. Zwar waren es vom ersten Kontrollposten bis zu eigentlichen Ländergrenzen noch 22 anstrengende Kilometer Berg auf zu fahren, ehe man weitere 5km zittrig Berg ab bereits i der Mongolei zu deren Grenzposten fahren durfte, so war der Grenzübertritt im eigentlichen Sinne doch mal wieder problemfrei. Die Russen ließen uns gehen, die Mongolen hießen uns herzlich willkommen. Zwar ist der Grenzübergang für Fußgänger gesperrt, sodass wir bereits mit einem Transport in einem der Rally Autos spekulierten, doch Fahrräder zählen hier wohl als akzeptiertes Gefährt für den Grenzübertritt. Entgegen der Internetinformation benötigt man KEIN Auto. Doch verlangte die mongolische Seite das wir im Formular auch die Spalte zu Auto immer ausfüllen sollten...
ah ähm ja!? Schrieben wir also brav den Hersteller Maxcycles in die Spalte. Aber nein, es mussten verschiedene Namen sein - oder gibt es Autos mit der selben Kennzeichenabfolge? Also Maxcycles 1 und Maxcycles 2! Das wurde akzeptiert.
Die Straßen sind tatsächlich eklig. Schotterpisten im Wellblechformat die den Mänteln sicher nicht gut tun. Doch hinten habe ich bereits nicht mehr meinen Conti, der nach 1000 km bereits platze, sondern den "Hindustan H-800" made in India für 250 Rubel (ca. 5-6€) - es sollte also kein Problem für mich sein. Parallel zu den Schotterstraßen verlaufen dann Pisten, die für uns besser zu fahren sind. Sie sind zwar "einspurig" aber dafür gibt es viele davon. Jeweils mit einer breiten Ausweichfläche - Platz gibt es hier genug.
In Tsagaanuur teilt sich die Straße in eine nördliche und eine südliche Straße. Wir nehmen nördliche, die weniger asphaltierte, aber weniger bergige und kurze Strecke.
Ich schreibe in einem weiteren Post weiter, den ich zeitversetzt veröffentlichen werde, damit die Bild-Leserschaft hier nicht überstrapaziert wird.

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