Samstag, 12. Juli 2014

Nichts außer Bauchkratzen

Seit Kostanay ist nicht viel spektakuläres passiert. Nahezu unveränderte Landschaften in der Kornkammer. Das spannendste waren die tollen Wolkenkonstellationen des in den letzten Tagen nahezu durchgehend bewölkten Himmels (hatten dennoch wieder bis zu 40°C). Schön waren insbesondere die Sonnenuntergänge oder die Regenwolken. Doch auch die gehörten schnell zum alltäglichen Programm, dass es schwer war, sie angemessen zu würdigen. Wir fuhren routiniert unsere 80-90km am Tag - es war beinah langweilig. Dennoch war unsere Stimmung sehr gut - vielleicht stumpfen wir ab.
Da es wie üblich im Sommerloch nicht viel zu berichten gibt, werden alte Gedanken und Anekdoten aus den Tiefen der mittlerweile über vier Monate alten Erinnerungen gefischt.
Kaum waren wir aus Kostanay draußen, trafen wir wieder nette Menschen!
In Anlehnung an Mos Überlegungen, ob hier einfach statistisch überproportional viele nette Menschen sind oder wir einfach nur Glück haben (Abkuerzungindiemongolei - All good), möchte ich eine weitere Perspektive hervorheben.
Zunächst einmal denke ich, dass es ein Mix aus Mos Überlegungen ist, ergänzt durch die Tatsache, dass wir einfach toll sind! Vielleicht sogar, aber ich möchte nicht unbescheiden sein, supertoll!!!
Tatsächlich denken so wohl viele Menschen die wie treffen über uns. Dass wir das Gefühl nicht ganz teilen können schrieb ich an anderer Stelle. Doch wir sind auf jeden Fall exotisch, besonders und/oder irgendwie interessant, sodass uns jede zweite Person auf der Straße hier anspricht, mit dem Auto anhupt oder mit dem Auto neben uns her fährt, den Verkehr blockiert und versucht mit uns Konversation zu betreiben - darin sind wir mittlerweile wirklich gut, ohne wirklich etwas zu verstehen.
Doch kaum sind wir ohne unsere Fahrräder unterwegs, sind wir uninteressant oder gar merkwürdig und werden schräg angeschaut. Ersteres ist klar, denn wenn man in Zivil herumläuft fällt man nicht auf. Zweites allerdings ärgert mich manchmal schon: Ich war zum Beispiel in meinen Fahrradklamotten (frisch gewaschen, aber dieser Style wartet noch auf seinen Durchbruch; und einige Flecken entstanden in situ, sie markieren den Beginn einer neuartigen Tarnuniform)... also ich war in entsprechenden Style Obst und Gemüse kaufen, das Fahrrad war nicht in Sichtweite abgestellt. Die Verkäuferin blieb mir gegenüber kurz angebunden und schien mir zu misstrauen - so schräg angeschaut zu werden, bekommt man richtig Lust einen Apfel zu klauen. Doch konnte ich das Eis etwas brechen, als ich wie üblich beim Bezahlen einfach einen Haufen Münzen ihr entgegen hielt - das entlockt meist zumindest ein Schmunzeln.
Zurück beim Fahrrad stellten wir fest, die Zwiebeln vergessen zu haben. So hielten wir diesmal mit Rad und Gepäck zum zweiten Mal vor ihr. Woran sie mich wiedererkannte vermag ich nicht zu sagen, da ich nun völlig verändert mit Helm statt Glatze vor ihr stand. Vielleicht war es den schönere Anblick (über Geschmäcker lässt sich streiten), aber von Skepsis und Ekel gab es keine Spur mehr, sondern nur noch gnadenloses Interesse!
Diese Erfahrung oder vielmehr mein Empfinden sind kein Einzelfall gewesen.
Und in Selbstreflexion kann ich die Verkäuferin auch verstehen:
Aber vielleicht schaffe ich es das nächste Mal, eine merkwürdige singende Person nicht gleich zu Verurteilen, sondern sage mir dann, "mhhh da ist das Mikrophone aber von schlechter Qualität" (Elis, vielen Dank für die Perspektiverweiterung damals!)
Doch zurück zu den netten Menschen! Wir waren kaum heraus aus der Stadt, als wir das erste Café ansteuerten um Mittag zu essen. Das Lokal war von einer Hochzeitsgesellschaft okkupiert, aber man fand etwas zu Essen und zu trinken für uns. Die Einladung zum Vodka lehnten wir dankend ab, zu groß war deren Vorsprung. Man half uns bei der Bestellung beim Kellner und lies uns dann in Ruhe essen. Als wir weiter fahren wollten, retteten uns die Leute präventiv aus den berühmt berüchtigten kasachischen Schlaglöchern. 130km sollte die Straße noch asphaltiert sein und dann katastrophal werden. Und wenn Menschen hier von katastrophalen Straßen sprechen, ist in Deutschland schon lange nicht mehr an Straße zu denken. Wir folgten also deren Rat, bis kurz vor Kostanay zurück zu fahren und dann die südliche Route zu fahren. Die ist zwar kürzer, jedoch hatten wir uns zunächst aufgrund weniger Gewässer auf dieser Strecke und wohl dichter befahren dagegen entschieden. Doch wir bleiben lieber etwas dreckiger, als auf den kasachischen Straßen mit allen Wassern gewaschen zu werden.
In Gedanken versunken fuhren wir also in die Tage hinein. Wir dachten viel nach über den Verlauf der Reisen und ließen viele Bilder und Erlebnisse revue passieren. Grund genug gab es, denn irgendwo hier in der Gegend feier(te)n wir auch die Halbzeit. Besonders ein Erlebnis prägte uns. Im Kaukasus kurz vor Gudauri am Berg krepierten wir beinahe. Niedrigster Gang und es war höllisch schwer zu treten. Nach einer Pause stieß  ein älteres Ehepaar Annie und Steve (um die 70-75 Jahre alt) zu uns. Wir fuhren ein paar Kilometer gemeinsam. Mo und ich hatten ernsthafte Schwierigkeiten deren Tempo mitzugehen, was wir versuchen über das deutliche Mehr an Gepäck auf unseren Rädern zu erklären. In dem Zuge lernten wir eine Theorie kennen, die nicht nur den Radsport revolutionieren wird, sondern seit je her unseren Alltag bestimmt. Annie gab uns den Ratschlag: "nehmt einen höheren Gang, dann könnt ihr schneller fahren!" Völlig außer Atem fehlte uns leider die Luft zum lachen!
Aber seit dem fassen wir sämtliche abstruse, paradoxe Ideen und Vorschläge unter "Annie's Theory" zusammen! Beispielsweise wenn der Wind von vorne bläst, kommt meist vom im Windschatten fahrenden der Vorschlag schneller zu fahren, dann wäre man früher raus aus dem Wind.
Was auch unsere Kommunikation stark beeinflusst ist die GMT (Georgien maybe time). Daran anknüpfend haben wir in einem der kasachischen Cafés (Truck-Stop, Restaurants) eine lustige Situation erlebt. Hungrig und durstig freuten wir uns auf eine kalte Sprite und irgendwas zu Futtern! Die Speisekarte blieb für uns wie immer verschlüsselt. Also wurde gestikuliert. Eigentlich recht verständlich deutete ich auf das Mahl eines anderen Gastes. Ich glaube er aß Gulasch - War mir auch egal, ich hatte Hunger!!! Etwas irritiert fragte die Kellnerin nach: "Spaghetti?" Wie sie darauf kam wusste ich auch nicht, aber möglichen Diskussionen vorweggreifend sagte ich einfach: "да!"
Sie fing beschämt an zu lachen und sagte so was wie: "нет Spaghetti!"
Ahhhhhh dann halt was anderes!
Aber so wurden diese Situation metaphorisch bei uns zum geflügelten Wort: "yes, yes.... but no!"
Aber werden wir doch wieder aktueller.
Die kasachischen Polizisten halten uns gerne an. In unseren Augen wieder ein typischer Fall von Machtmissbrauch. Doch konsequenzlos. Sie halten uns aus bloßen Interesse an. Anstrengend ist lediglich das abbremsen und wieder anfahren. Das letzte mal hatte Moritz aber einen guten Einfall. Am Straßenrand stand ein Polizist, sich gerade von einem kontrollierten Auto verabschiedend, und fing an, kaum dass er uns hat an Horizont auftauchen sehen, wild zu gestikulieren. Es war unmisseverständlich: wir sollten halten! Während wir noch auf ihn zufuhren spielte Mo den Naivling und winkte höflich zurück.
Wir haben es letztlich nicht durchgezogen, wäre aber sich spannend gewesen. Aber es wird sich sicherlich noch mal eine Gelegenheit bieten. Mal sehen ob wir dann den Mut haben. Solltet ihr in den kommenden Monaten nichts mehr von uns hören, waren wir mutig!
Kurz bevor wir am Tag 133 dann in Atbasar ankamen, hielten wir noch an einer der berühmten Cafés. Uns lächelte im Kühlregal selbst abgefüllte Milch an! Mensch hatten wir Appetit darauf! Frische, kühle Milch! Wir bekamen den Hinweis, dass es aber Pferdemilch sei! Ein kasachisches Nationalgetränk!
Klang interessant! Aber was solls: Milch ist Milch!
Es war dann das ekelhafteste Getränk, das wir je getrunken haben! Wir können froh sein, wenn es Stutenmilch war! Es schmeckte gegoren und geräuchert und ekelhaft... und in der kommenden Nacht mussten wir feststellen, dass es nicht nur dem Gaumen nicht mundete, sondern, ob dem darin enthaltenen Alkohol, kein Magenschließer war...
Doch ehe ich nächtliche Spaziergänge vollführte, hatten wir noch die Zeltplatzsuche. Eigentlich fanden wir recht schnell ein schönes Plätzchen. Leider hielt nicht allzu bald ein Auto neben uns und es stieg ein alkoholisierter Mann aus. Er wollte sich mit uns unterhalten und trinken. Uns war nicht danach - weder noch! Mo zog denn Kürzeren und ich beobachtete. Ich beobachtete ein hier in der Region typisches Verhalten, was dennoch einen Lachflash bei mir verursachte! Da es hier öfter heiß ist ziehen viele Männer ihr T-Shirt soweit hoch, dass sie es als Bikini tragen. Mir fiel eine Plautze entgegen, die bezeugte, dass neben Vodka wohl auch Bier von dem ansonsten sehr netten Mann bedingungslos vernichtet wird. Ich versuchte meinen Lachanfall hinter vorgetäuschten Niesern zu verbergen und drehte mich um. Als ich mich einigermaßen gefasst hatte und den Augen die nächste Schocktherapie verabreichen wollte, brach ich völlig weg. Denn ich sah nun Moritz mit einem breiten Grinsen genauso da stehen.
Manche kulturelle Gepflogenheiten adaptiert Moritz tatsächlich sehr schnell und ich schäme mich für meine Unhoflichkeit.
Jetzt noch einige Impressionen der letzten Tage.

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